Herausforderungen für die Wundversorgung angesichts der neuen Verbandmitteldefinition (DeWu Symposium 2022)

    Rengsdorf, 6. Mai 2022 - Im Rahmen des Deutschen Wundkongresses in Bremen veranstaltete Lohmann & Rauscher (L&R) am 4. Mai das Symposium "Aus der Praxis für die Praxis. Verbandmitteldefinition im Fokus". Drei ExpertInnen - Christoph Fischoeder, Björn Jäger und PD Dr. med. Cornelia Erfurt-Berge - gaben in ihren Vorträgen Einblick in das Ende 2023 in Kraft tretende Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV) bzw. die neue Verbandmitteldefinition und v. a. in die sich daraus ergebenden Herausforderungen für Anwender und PatientInnen. Prof. Dr. jur. Volker Großkopf ergänzte das Symposium mit seiner Präsentation zu einer weiteren wichtigen neuen rechtlichen Regelung für Pflegende in punkto (Zusatz-)Ausbildung, nämlich die neue Häusliche Krankenpflege Richtlinie (HKP-RL).

     

    Christoph Fischoeder, Kommunikationsberater mit eigener Beratungsagentur, führte zu Beginn des Symposiums in die Entstehung und Hintergründe der neuen Verbandmitteldefinition ein. Nach vielen Jahren der Diskussion in Bezug auf die Definition von Verbandmitteln, auf den Nutzennachweis und auf die Frage nach der Erstattung von Verbandmitteln durch die Krankenkassen, insbesondere bei teureren Produkten der modernen Wundversorgung, ist seit 2019 das neue Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV) in Kraft. Das GSAV konkretisierte bekanntlich den Begriff "Verbandmittel" und der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) regelte die Begriffs-Abgrenzung neu. Er tat dies indem er 2020 "Verbandmittel" enger definierte und zwischen "Eindeutigen Verbandmitteln", "Verbandmitteln mit ergänzenden Eigenschaften" und "Sonstigen Produkten zur Wundbehandlung" unterschied. Nach einer mehrjährigen Übergangsfrist wird das GSAV ab 2. Dezember 2023 in die Praxis umgesetzt. Das GSAV hat Auswirkungen auf die zukünftgige Erstattungsfähigkeit in Deutschland: Eindeutige Verbandmittel, d. h. Wundauflagen, die ausschließlich eine Wunde bedecken und/oder Körperflüssigkeiten aufsaugen, und Verbandmittel mit ergänzenden Eigenschaften (feuchthaltend, reinigend, geruchsbindend, antimikrobiell, metallbeschichtet) können weiterhin von der gesetzlichen Krankenkasse erstattet werden. Sonstige Produkte zur Wundbehandlung, z. B. antimikrobielle Wundverbände mit einer therapeutischen Wirkung durch Zusätze, wie Silber und Polyhexamethylen-Biguanid (PHMB), sind nicht mehr unmittelbar erstattungsfähig. Sie müssen zunächst vom G-BA auf ihren medizinischen Nutzen hin geprüft werden.

    Christoph Fischoeder: "Ziemlich sicher wird es nach der Übergangsfrist zu Auswirkungen in der Produktverfügbarkeit kommen. Herausfordernd ist diese Situation nicht nur für Pflegende und PatientInnen, sondern auch für die Medizinprodukteindustrie. Denn es gibt bis dato kein standardisiertes Verfahren bzgl. des Nachweises der Wirksamkeit von Produkten, auf das die Hersteller bei der Nutzenbewertung und Abgrenzung ihrer Produkte zurückgreifen können."

    Für Medizinprodukteunternehmen wie L&R bedeutet der neue rechtliche Rahmen neben ökonomischen Einbußen also auch einen großen Unsicherheitsfaktor in punkto evidenzbasierter Medizin, da unklar ist, nach welchen Standards und mit welchen Endpunkten Studien zum Nachweise der Wirksamkeit von Produkten zu erstellen sind.

    Identifizierung von infektgefährdeten oder infizierten Wunden

    PD Dr. med. Cornelia Erfurt-Berge, Oberärztin im Wundzentrum der Hautklinik Universitäts-klinikum Erlangen sowie Vorstandsmitglied der ICW, und Björn Jäger, Gesundheits- und Krankenpfleger in Lingen und freiberuflicher Dozent ICW, gingen in ihren Vorträgen auf die Wundbehandlung von infizierten Wunden ein, inklusive Fallbeispiele aus der Praxis.

    Infektionen stellen in der Wundversorgung eine häufig auftretende Komplikation dar - sie sind zudem einer der kritischen Faktoren für eine erfolgreiche Behandlung: ohne Infektionsbeseitigung keine Wundheilung. Als Kriterien für eine Infektionsgefährdung, eine lokale oder eine systemische Infektion der Wunde gelten klassische Entzündungszeichen, verändertes bzw. erhöhtes Exsudat, Farbveränderung, Geruchsphänomene und Wundheilungsstörungen.

    "In der Praxis helfen zur Beurteilung von Wunden Punktesysteme, wie der W.A.R. Score für infektgefährdete Wunden, oder der TILI Score für lokale Wundinfektionen. Diese einfachen Hilfsmittel können AnwenderInnen bei der Einschätzung der Indikation und der entsprechend adäquaten Wundtherapie leiten - und zwar individuell, schnell und einfach", so PD Dr. med. Cornelia Erfurt-Berge.

    Wundbehandlung von infizierten Wunden

    Im Fall von infizierten Wunden umfasst eine adäquate, phasenorientierte Wundtherapie als ersten Schritt das Debridement, also die Wundbettvorbereitung, in dem Debris, nekrotisches Gewebe, Exsudat etc. in der Wunde entfernt werden. Für diesen ersten Behandlungsschritt gibt es unterschiedliche Debridement-Arten, unter anderem z. B. das mechanische, chirurgische oder autolytische Debridement. Für ein schnelles, einfaches und schmerzarmes mechanisches Debridement bietet L&R seit über 10 Jahren das Debrisoft Pad bei oberflächlichen Wunden, und für tiefe Wunden den Debrisoft Lolly.

    Nach diesem ersten Schritt der Wundreinigung und der Reduktion des "bacterial load" erfolgt dann die antimikrobielle Versorgung, in Form des Einsatzes von Antiseptika und / oder von antimikrobiellen Wundauflagen, die keimreduzierend wirken. Björn Jäger verweist in seinem Vortrag speziell auf silberhaltige Wundauflagen, die gegen Bakterien und Pilze wirken, oder auf keimbindende Auflagen, welche Bakterien in die Wundauflage einschließen. In die erst genannte Produktkategorie fallen z.B. der Calciumalginat-Verband mit Silber von L&R, Suprasorb A + Ag, der auch bei Infektionen mit MRSA oder VRE wirkt (Erregerspektrum in vitro nachgewiesen). Aber nicht nur Silber gilt als effektiver, antimikrobieller Wirkstoff in Wundauflagen gegen Infektionen, sonder auch PHMB. Dieser wird in den antimikrobiellen L&R Wundverbänden Suprasorb P + PHMB, einem PU Schaumverband, und in Suprasorb X + PHMB, einem HydroBalance-Wundverband, eingesetzt.

    Neben einem engmaschigen Verbandwechsel ist es in der weiteren Behandlung essentiell, die gesetzten Behandlungsmaßnahmen bzw. deren Effektivität zu prüfen und anzupassen; als empfehlenswert gilt hier eine Prüfung nach 14 Tagen. Auswirkung der neuen Verbandmitteldefinition Es sind genau die zuletzt genannten silber- oder PHMB-haltigen Produkte, die aufgrund der neuen Verbandmitteldefinition ab 2. Dezember 2023 nicht mehr unmittelbar erstattungsfähig sind, da ihre Eigenschaft - die Abgabe von antimikobiell wirksamen Bestandteilen an die Wunde - sie in der Kategorie "Sonstige Produkte zur Wundbehandlung" verortet.

    Björn Jäger: "Aus pflegerischer, ambulanter Sicht rechnen wir damit, dass viele PatientInnen mit infizierten Wunden, die sich privat antimikrobiell wirkende Wundauflagen nicht leisten können oder möchten, vermehrt in die Kliniken gehen werden. Damit erhöhen sich die Krankenhauseinweisungen und es werden vermutlich - mangels erstattungsfähiger Alternativen - wieder vermehrt Antibiotika eingesetzt werden. Ein Szenario, das angesichts der steigenden Antibiotikaresistenzen eigentlich niemand wirklich haben möchte."

    Neue Häusliche Krankenpflege Richtlinie

    Pflegekräfte im ambulanten Bereich bewegt derzeit noch eine weitere rechtliche Neu-Regelung, und zwar die neue Häusliche Krankenpflege Richtlinie (HKP-RL). Prof. Dr. Volker Großkopf, Professor der Rechtswissenschaften an der Katholischen Hochschule Köln und Herausgeber der Rechtsdepesche für das Gesundheitswesen, erläuterte die Auswirkungen der neuen Rahmenempfehlung ( § 132a Absatz 1 Satz 1 SGB V) auf PflegerInnen, welche gemäß Leistungsziffer 31a PatientInnen mit chronischen oder schwer heilenden Wunden versorgen. Ab 1. Januar 2022 wurde die Zusatzvoraussetzung von ambulanten Pflegekräften zur Behandlung und Versorgung chronischer und schwer heilender Wunden angehoben.

    Neben einer erfolgreich abgeschlossenen dreijährigen Kranken- oder Altenpflegeausbildung müssen diese ergänzend eine spezifische Zusatzqualifikation im Umfang von mindestens 84 Unterrichtseinheiten à 45 Minuten sowie eine Prüfung nachweisen. Das erlangte Spezial-wissen muss jährlich durch fachspezifische Fortbildungsmaßnahmen im Umfang von mindestens 10 Zeitstunden ergänzt werden. Diese Fortbildungsmaßnahmen müssen den anerkannten Stand der pflegerischen und medizinischen Wissenschaft und Forschung inklusive aktueller Erkenntnisse zur Behandlung chronischer und schwerheilender Wunden widerspiegeln und müssen zwingend produktneutral sein.