das magazin / 24. Februar

    Auf Intensivstation

    Überwachungssysteme helfen dabei, Probleme zu identifizieren und die Hygienemaßnahmen auf Intensivstationen zu verbessern.

    Eine geschwächte Immunabwehr, invasive Eingriffe und die mangelhafte Einhaltung von Infektionsschutzmaßnahmen begünstigen die Übertragung von Krankheitserregern auf Intensivstation (ITS). Überwachungssysteme helfen dabei, Probleme zu identifizieren und die Hygienemaßnahmen auf Intensivstationen zu verbessern. 

    Jeder chirurgische Eingriff – so wichtig und lebensnotwendig er auch sein mag – birgt das Risiko schwerwiegender Konsequenzen: Durch die Operation könnten Mikroben in den Körper des Patienten gelangen und schwerwiegende Infektionen auslösen. Solche sogenannten Gesundheitssystem-assoziierten Infektionen (healthcare-associated infections, HAI oder nosokomiale Infektionen) sind dafür verantwortlich, dass viele Patienten den Aufenthalt auf der Intensivstation nicht überleben oder nicht mehr so fit werden, wie vor ihrem Eingriff. HAI sind lokale oder systemische Erkrankungen, die durch Reaktionen auf Erreger aus endogenen oder exogenen Quellen oder deren Toxine ausgelöst werden *1.

    Im Jahr 2014 entwickelten laut Angaben des Europäischen Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) acht Prozent der Patienten, die sich länger als zwei Tage auf einer Intensivstation aufhielten, mindestens eine HAI *2 . In Ländern mit niedrigerem und mittlerem Einkommen wiegt das Problem noch schwerer: Im Vergleich zu Ländern mit hohem Einkommen ist die Häufigkeit von HAI dort um das zwei- bis dreifache *3 erhöht.

    „Es gibt drei Hauptursachen, die für das größere HAI-Risiko von Patienten auf Intensivstationen verantwortlich sind“,

    erklärt Professor Dr. Petra Gastmeier, Leiterin des Instituts für Hygiene und Umweltmedizin an der Charité in Berlin und Expertin für die Überwachung nosokomialer Infektionen.

    „Erstens haben Patienten auf der Intensivstation in der Regel mehrere Katheter, etwa zentrale Venenkatheter, Blasenkatheter und Endotrachealtuben. Krankheitserreger können sich entlang dieser Zugänge bewegen und so in den Körper gelangen. Zweitens sind diese Patienten schwer krank und müssen sich häufig vielen diagnostischen, therapeutischen oder pflegerischen Maßnahmen unterziehen. Solche Verfahren erhöhen das Risiko, dass Krankheitserreger von einem Patienten zum nächsten übertragen werden. Drittens beeinträchtigen Grunderkrankungen und Therapien wie etwa Antibiotikabehandlungen oder Chemotherapien die Immunabwehr von Intensivpatienten. Die Behandlungen stören das Mikrobiom des Magen-Darm-Traktes und erleichtern es Bakterien, vom Darm ins Blut zu gelangen und eine Sepsis auszulösen.“

    Alle drei Risikofaktoren kommen auf Intensivstationen häufig vor und sind nur begrenzt beeinflussbar. Zwar kann eine gute Händehygiene der Übertragung von Krankheitserregern zwischen Patienten entgegenwirken, invasive Verfahren, der Einsatz von Kathetern und Verletzungen der Darmbarriere sind jedoch oft unvermeidlich.

    Steckbriefe zu Profilen von Pathogen wie Staphylococcus aureus haben wir hier für Sie zusammengestellt: http://di-ri.co/hclwE

    Die häufigsten HAI auf Intensivstationen sind Lungenentzündungen (6%), Blutstrominfektionen (4%) und Harnwegsinfektionen (3%) *4 . Die überwiegende Mehrheit der Lungenentzündungen und Harnwegsinfektionen ist mit der Intubation bzw. dem Einsatz von Harnwegskathetern verbunden. 

    HAI

    HAI (oder HCAI) steht für die englischen Begriffe "hospital associated/acquired infection"oder "healthcare-associated infection" und meint Nosokomiale Infektionen. Darunter versteht man eine Infektion, die Patienten im Zusammenhang mit einer medizinischen Maßnahme erwerben, die in Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen oder auch in ambulanten Praxen erfolgt ist.

    www.hygiene-in-practice.de/glossary/hospital-associated-infection-hai-hcai/

    ECDC

    Das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) ist eine EU-Agentur, die darauf abzielt, Europa gegen sich ausbreitende Infektionskrankheiten zu stärken. Das ECDC wurde 2005 gegründet und hat seinen Sitz in Solna, Schweden.

    www.hygiene-in-practice.de/glossary/ecdc/

    Blutstrominfektionen sind entweder katheterbedingt oder verlaufen sekundär zu anderen Infektionen, einschließlich Lungen-, Magen-Darm- und Harnwegsinfektionen, sowie Infektionen an der Operationsstelle. Bei einem Fünftel der Blutstrominfektionen bleibt die Herkunft ungeklärt. Auf den chirurgischen Intensivstationen gehören postoperative Wundinfektionen (SSI) zu den häufigsten HAI *5 . Antibiotikaresistente Bakterien wie Staphylococcus aureus, Pseudomonas aeruginosa (siehe Bild), Escherichia coli und Klebsiella spp. verursachen ebenfalls häufig HAI und erhöhen das Risiko schwerwiegender Komplikationen. 

    Die Einhaltung infektionspräventiver Maßnahmen wie der Händehygiene ist entscheidend, um die Übertragung von Krankheitserregern zwischen Patienten zu verhindern. Übertragungen vom Personal auf Patienten kommen zwar selten vor (Gastmeier P et al, 2005), der Umgang mit Patienten kontaminiert jedoch die Hände des Personals. Wenn die Händehygiene im Anschluss nicht korrekt durchgeführt wird, kann das medizinische Personal die Krankheitserreger an den nächsten Patienten weitergeben.

    „Patienten auf der Intensivstation sind häufig bewusstlos oder schwer krank“,

    sagt Gastmeier.

    „Daher ist es unerlässlich, dass das medizinische Fachpersonal die Hygienevorschriften einhält. In den meisten ITS sind die Compliance-Raten in den vergangenen Jahren auf 60 bis 80 Prozent gestiegen. Das trägt wesentlich dazu bei, Infektionen zu verhindern. Aber es herrschen immer noch immense Unterschiede zwischen einzelnen Stationen. Daher sind Überwachungssysteme wichtig, um die Infektionsraten weiter zu senken.“

     

    Daten sammeln für den guten Zweck

    Die ersten klinischen Studien, die den positiven Einfluss von Überwachungsmaßnahmen auf die Häufigkeit von HAI aufzeigten, wurden in den 1980er Jahren durchgeführt (Morrison AJ Jr et al., 1987). Seitdem haben viele Länder lokale Überwachungssysteme eingerichtet, und mehrere Studien haben einen Rückgang von HAI kurz nach der Einführung solcher Systeme bestätigt. Das Krankenhaus-InfektionsSurveillance-System (KISS) in Deutschland ist das größte Überwachungssystem in Europa und verfügt auch über ein Modul für Intensivstationen (ITS-KISS) *6 . So können Forscher sowohl Daten über die Infektionen als auch über die verantwortlichen Krankheitserreger sammeln. Darüber hinaus ermöglicht ITS-KISS, Patienten mit multiresistenten Krankheitserregern und Clostridioides difficile-assoziierten Durchfällen zu überwachen (Schröder C et al., 2015).

    „Überwachungssysteme sind besonders wichtig für die Qualitätssicherung“,

    erklärt Gastmeier.

    „Derzeit gibt es mehr als 1.000 Intensivstationen, die ihre Daten an das nationale Referenzzentrum übermitteln. Mediziner können dadurch die Häufigkeit von HAI in ihren Einheiten über längere Zeiträume beobachten und ihre Daten mit denen anderer Intensivstationen vergleichen. Es ist wichtig, dass sich die Intensivstationen mit diesen Daten beschäftigen und gezielte Maßnahmen ergreifen.“

    ITS beteiligen sich auf freiwilliger Basis am KISS. Krankenhäuser sind jedoch verpflichtet, Überwachungsmaßnahmen von HAI durchzuführen. Zahlreiche europäische Länder haben in den 90er Jahren Überwachungssysteme eingeführt und in den letzten 20 Jahren weiterentwickelt. Die Daten aus Deutschland und anderen EU-Mitgliedsstaaten werden in Stockholm beim ECDC erhoben. Das Zentrum unterstützt die Mitgliedsländer und koordiniert zusätzlich Punktprävalenzstudien über HAI und antimikrobielle Therapien auf Intensivstationen.

    „In den vergangenen 20 Jahren haben wir gezeigt, dass Überwachungssysteme zu einer deutlichen Reduzierung der Infektionsraten führen“, weiß Gastmeier. „Mediziner können die HAI-Inzidenz in ihrem Krankenhaus genau beobachten und dementsprechend intervenieren.“

    Eine aktuelle Studie hat die HAI von mehr als 60.000 Patienten in Deutschland untersucht. Die Autoren konnten eine signifikante Reduktion von schweren HAI auf Intensivstationen nachweisen, die ein Infektionskontrollprogramm installiert hatten (Hagel S et al., 2018). Da immer mehr Krankenhäuser Überwachungssysteme einführen oder verbessern, ist unerlässlich, dass Kliniken und Spezialisten für Infektionskontrolle kontinuierlich zusammenarbeiten. Diese Kooperation muss ebenfalls in regelmäßigen Abständen evaluiert und aktualisiert werden.

    „Die Digitalisierung könnte dazu beitragen, die Überwachungssysteme zu optimieren“,

    so Gastmeier.

    „Eine automatisierte Datenerfassung würde die Arbeitsabläufe erheblich vereinfachen und den Arbeitsaufwand reduzieren, der nötig ist, um Infektionsraten zu erfassen.“

    SSI

    SSI sind mit einem Anteil von ca. 22% die zweithäufigsten nosokomialen Infektionen in Deutschland, auch weil die Zahl der chirurgischen Eingriffe immer weiter zunimmt. In Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen sind SSI laut WHO die häufigste Form der nosokomialen Infektionen.

    Laden Sie sich hier unser Fact-Sheet zu SSI herunter.

    Nosokomiale Infektionen und Resistenzen

    1. 400.000 – 600.000 Nosokomiale Infektionen
    2. circa 30.000 Nosokomiale Infektionen durch multiresistente Erreger
    3. circa 1.500 Nosokomiale Infektionen durch multiresistente Erreger, die gegen fast alle Antibiotika-Klassen resistent sind (v.a. 4MRGN)