das magazin / 20. Jänner

    Der Diabetische Fuß als permanenter Kampf

    Interview mit Dr. Nashat Ali Hassan Ghandoura

    GeburtsortJeddah, Saudi Arabia
    Beruf

    Berater für Allgemeinchirurgie & Leiter der Abteilung „Diabetischer Fuß“ des König-Fahd-Krankenhauses in Jeddah

    Besondere TätigkeitenReferent von & Teilnahme an nationalen & internationalen Konferenzen zum Diabetischen Fuß, Vizepräsident des Ausschusses für Diabetischen Fuß im Gesundheitsministerium von Saudi-Arabien, Mitglied im technischen Ausschuss der Diabeteszentren im Gesundheitsministerium von Saudi-Arabien, Gründer & Mitglied der Arbeitsgruppe für Diabetischen Fuß der Golfstaaten, Mitglied der European Wound Management Association (EWMA)
    Praxiserfahrungmehr als 30 Jahre 
    Sie sind DER Experte für die Problematik des Diabetischen Fuß` in der Golfregion. Wie kommt es, dass das Thema Diabetischer Fuß in Ihrem Arbeitsleben so wichtig geworden ist?

    In Saudi-Arabien ist Diabetes ein großes Thema. Der Diabetische Fuß (DF) ist eine ernsthafte Komplikation von Diabetes, die den Zustand des Patienten, sein Wohlergehen, massiv beeinträchtigt und eine enorme sozioökonomische Auswirkung hat. Im Jahr 2008 habe ich die Abteilung „Diabetischer Fuß“ des König-Fahd-Krankenhauses in Jeddah gegründet – die erste Abteilung für diese Krankheit in Saudi-Arabien. Vor 2008 hatten diese Fälle oft dramatisch geendet – d.h. mit Major-Amputationen. Damals waren 33 von 100 Patienten der Abteilung für Allgemeine Chirurgie Patienten mit DF. Da es in Saudi-Arabien keine Hauskrankenpflege gab, blieben diese Patienten 4 bis 6 Wochen im Krankenhaus. Für die multidimensionale Erkrankung Diabetes gab es weder Behandlungsrichtlinien noch spezifische Institutionen - Faktoren, die zu einer hohen Amputationsrate führten. Das Hauptziel meiner Abteilung ist es, die Qualität der Pflege und das Leben dieser Patienten zu verbessern.

    60% der saudi-arabischen Bevölkerung sind jünger als 30 Jahre. Welche Generation ist in Saudi-Arabien am meisten von Diabetes betroffen?

    Viele Menschen im Alter von 30 oder 40 Jahren haben Diabetes Typ 2. Eine Studie der King-Saud-Universität-Riad aus dem Jahr 2012 zeigt, dass 24 bis 28 % unserer Bevölkerung an Diabetes leiden. Die Zahl wächst: Im Jahr 2025 wird jeder dritte Mensch unter 50 Jahren betroffen sein, während jeder zweite Mensch, der 50 Jahre und älter ist, an Diabetes und Prädiabetes erkranken wird. 15 % der Diabetiker leiden an DF, und wiederum 15 % von ihnen entwickeln Osteomyelitis, eine chronische Entzündung von Knochen und Knochenmark. 15 % der Patienten mit DF müssen sich einer Minor- oder Major-Amputation unterziehen. Die Studie zeigt auch, dass 6 bis 8 % der Patienten mit DF aufgrund einer schweren Infektion oder einer chronischen Ischämie der unteren Extremitäten oder anderer Komplikationen ins Krankenhaus eingeliefert werden müssen.

    Die Sterblichkeitsrate derer, die sich Major-Amputationen unterziehen, erreicht innerhalb der nächsten 5 Jahre bis zu 80%! Wir sehen DF als einen permanenten Kampf an.

    Was sind die dringendsten Probleme Ihrer Patienten und wie versuchen Sie diese zu lösen?

    Der Mangel an Bildung und Wissen der Patienten! Sie sind sich der Bedeutung und Dringlichkeit nicht bewusst, weshalb sie sich oft erst sehr spät an ihre Ärzte wenden. Manche entwickeln Polyneuropathie, sodass sie ihre Gliedmaßen nicht mehr spüren. Häufig leben diese Patienten am Land und haben keine oder nur eine geringe Blutkontrolle ihres Diabetes, was es noch schwieriger macht, ihre Gliedmaßen zu retten.

    Und Sie? Welche Herausforderungen haben Sie bei der Behandlung Ihrer Patienten?

    Die meisten medizinischen Produkte zur Behandlung von DF, wie Wundauflagen, Debridementprodukte oder Total Contact Cast sind in unserem Land erhältlich. Die Herausforderungen, sind einerseits das geringe Niveau der Patientenaufklärung und die Compliance, und andererseits, insbesondere am Land, die Tatsache, dass die Gesundheitsdienstleister wenig Erfahrung in der Behandlung von Diabetes haben. Um deren Bewusstsein zu erhöhen, bieten wir Schulungen und Konferenzen an. Wir sehen, dass Wissen zwischen Ärzten, Krankenschwestern und Diabeteszentren ausgetauscht wird und wir erkennen eine gewisse Verbesserung. Obwohl es in Saudi-Arabien 23 Diabeteszentren gibt, bekommen wir aber oft Patienten von ihnen, da der Wissensstand von Zentrum zu Zentrum unterschiedlich ist.

    Sie betonen die Bedeutung von Aus- und Weiterbildung. Was sind hier die dringendsten Themen?

    Das sind die Aufklärung der Patienten und ihrer Angehörigen, die Früherkennung von DF und die Identifizierung der frühen Stadien eines DF. Etwa 85 % der diabetischen Fußgeschwüre sind vermeidbar! Wenn wir also 50 - 60 % dieser DF-Patienten „verhindern“, haben wir meiner Meinung nach etwas erreicht!

    Was ist das Ziel Ihrer täglichen Arbeit?

    Definitiv die Anzahl der Amputationen der unteren Gliedmaßen zu reduzieren! Und die Verbesserung der Heilung von primären Ulcera, bevor der Patient eine Osteomyelitis bekommt. Damit dies gelingt, müssen wir in multidisziplinären Fachteams zusammenarbeiten, z.B. mit Gefäß- und plastischen Chirurgen, Diätologen, Krankenschwestern, Podologen und Orthopädieschuhtechnikern, die maßgeschneiderte Schuhe herstellen.

    Und Ihre Ziele für die nächsten Jahre?

    50 bis 60 % der Patienten mit vermeidbarem DF sollten die Krankheit gar nicht erst entwickeln. Ich plane die Einrichtung einer Podologie-Schule für Ärzte und Krankenschwestern, und eines DF-Kompetenzzentrums. 

    Was empfinden Sie als größte Freude bei Ihrer täglichen Arbeit?

    Ich empfinde Freude, wenn ich sehe, dass mein Patient glücklich ist, wenn ich ihm seine Lebensqualität zurückgeben konnte, nachdem sein Geschwür abgeheilt ist oder wenn seine Gliedmaße gerettet werden konnte und er für mich betet.