das magazin / 2. Mai

    Pflege mit Leidenschaft. Jeden Tag.

    Björn Jäger – Wundexperte und Pfleger in einer Justizvollzugsanstalt

    Björn Jäger ist ein Hansdampf – immer mit Leidenschaft dabei, Wundpatienten Leid zu ersparen. Ihre Bedürfnisse zu berücksichtigen und ihre chronischen Wunden erfolgreich zu behandeln steht im Fokus der interdisziplinären Therapie. Björn Jäger arbeitet als Pfleger in einer Justizvollzugsanstalt. Die Wundversorgung und der Wissenstransfer zwischen den an ihr Beteiligten sind ihm eine Herzensangelegenheit: Gleich nach seiner Zertifizierung gründete der Wundexperte die Regionalgruppe Nordhorn der Initiative Chronische Wunden e.V. (ICW). Später entwickelte er mit „WundWiki“ ein Wikipedia für chronische Wunden. Er bietet deutschlandweit praxisnahe Schulungen an und richtet Rezertifizierungskurse aus. Im Jahre 2013 wurde er in den Beirat der ICW als Vorstandsmitglied berufen. Ein Tag im Leben des Wundexperten Björn Jäger verdeutlicht sein Engagement:

    Der Kaffee zum Wachwerden ist Pflicht, damit der Tag gut beginnt: Björn Jäger checkt schnell seine E-Mails – verblüfft darüber, wie viele Menschen ihm nachts E-Mails schicken. In der Facebook-Gruppe „Wundexpertinnen und Wundexperten“ stellt er in einer Diskussion zur „richtigen“ Wundtherapie die Frage nach dem Datenschutz der gezeigten Fotos und erntet prompt Kritik. 3 km Arbeitsweg später, JVA Lingen: Einschleusen, Schlüssel und Personennotrufanlage anlegen. Sein Dienst im Gefängnis beginnt. ...

    ... Der Frühbericht für die Anstaltsleitung nach dem Check der dienstlichen E-Mails läutet den Arbeitstag des Krankenpflegers ein. Einen Großteil seiner Arbeitszeit nimmt die Dienst- und Einsatzplanung ein: Die Kapazitätsplanung auf den Stationen muss stimmig sein. Denn es gilt, neben den medizinischen auch die rechtlichen Belange der Gefangenen zu berücksichtigen. Seine Tätigkeit nimmt er als Spagat zwischen den unterschiedlichsten Aufgaben wahr: Wechselte er eben noch den Verband eines Patienten, muss er in der nächsten Minute schlichten, manchmal auch mit körperlichem Einsatz. Nach mittlerweile 15 Dienstjahren erschüttert ihn wenig, aber wenn es um Sexualdelikte geht oder Kinder beteiligt sind, fällt ihm die professionelle Annäherung schwerer. Seine Lieblingsaufgabe in der JVA ist und bleibt jedoch die Wundversorgung.

    Neben den Wundpatienten der chirurgischen Station des Gefängniskrankenhauses betreut er die Patienten aus den umliegenden Abteilungen der JVA. Viele chronische Wunden im Justizvollzugskrankenhaus sind Folge von jahrelangem Drogenmissbrauch. Dies reicht von infizierten Einstichstellen über schwere Abszesse bis hin zu Teilamputationen. Björn Jäger bezeichnet sich als chirurgischen Pfleger, der sich erst richtig wohlfühlt, wenn es so richtig etwas in Sachen Wunden zu tun gibt. Ihm ist es gegeben, sich stundenlang mit einem ausgiebigen Debridement zu beschäftigen. Dann nutzt er die Zeit, den gefangenen Patienten über die geplante Therapie aufzuklären. Sein klarer Vorteil: „Meine Patienten können nicht ohne Weiteres weg.“ ...

    ... Sein ehrenamtliches Engagement resultierte aus einer Frage, die Björn Jäger nach der Zertifikatsübergabe zur Wundexperten-Prüfung 2007 seinen Kollegen stellte: „Wollen wir uns nicht regelmäßig zum Austausch treffen?“ Kurze Zeit später war die ICW Arbeitsgruppe Nordhorn mit Björn Jäger als Cheforganisator gegründet. Er hält die Fäden in der Hand, und dreimal im Jahr tauscht die Gruppe in lockerer Runde Erfahrungen aus, stellt neue Produkte vor und frischt das Basiswissen mit kleinen Vorträgen auf. Einmal im Jahr trifft sich die Gruppe zu einer großen Tagesveranstaltung mit über 200 Teilnehmerinnen und Teilnehmern und einem ausgesuchten Referenten aus der Wundversorgungsszene ...

    .... Björn Jäger ist mittlerweile Vorstandsmitglied der Initiative Chronische Wunden e.V. (ICW). Er verantwortet unter anderem die Öffentlichkeitsarbeit. Den viermal im Jahr an alle ICW-Mitglieder zu versendenden Newsletter recherchiert und schreibt er zu Hause. Darüber hinaus versendet er zweimal jährlich Newsletter an die Arbeitsgruppenleitungen und zwei weitere an den Beirat. Immer in Griffnähe: ein frischer heißer Kaffee. ...

    ... Der sich selbst als Freizeithasser beschreibende Björn Jäger erledigt auch weitere Aufgaben der ICW-Vorstandsrolle von zu Hause aus: Mailverkehr, Telefonkonferenzen, Textredaktion. Vorbereitungen für den Deutschen Wundkongress in Bremen (2016 gemeinsam mit der EWMA Organisation veranstaltet) stehen aktuell ganz oben auf seiner Agenda, wodurch sich sein Home Office manchmal wie ein Callcenter anfühlt. Drei bis vier Stunden vergehen da wie im Fluge. ...

    ... Um sich zwischen seinen Tätigkeiten als Pfleger, Vorstandsmitglied, Event-Organisator, Vortragender, Berater für die Industrie und Redakteur nicht zu langweilen, ist er in Deutschland als Dozent unterwegs. Basiskurse für Wundexperten mag er besonders. Dort lernt er zukünftige Kolleginnen und Kollegen von der Pike auf kennen und kann sie für die Wundversorgung begeistern. Das interaktive Lernerlebnis provoziert er z. B. dadurch, dass er Teilnehmerinnen und Teilnehmer einen Tag lang einen Kompressionsverband ohne Unterpolsterung tragen lässt. Anstatt ihnen Fotos von Einschnürungen zu zeigen, spüren sie am eigenen Leib, wie wichtig die Unterpolsterung in der Kompressionstherapie ist. ...

    ... Im Grunde genommen unterscheidet sich die Organisation des Wundmanagements in einem Gefängniskrankenhaus in keiner Weise von der in einem Akut-Krankenhaus. Lediglich der Finanzierungsweg bietet ihm einen Vorteil: Da die Gefangenen über das Land Niedersachsen krankenversichert sind, muss er sich weder mit Krankenkassen noch mit DRG-Fallpauschalen oder dem MDK auseinandersetzen. Fast alles, was er für die Versorgung von chronischen Wunden benötigt, kann beschafft und verwendet werden. „Paradiesische Zustände“, findet er. Legt er dann abends die Füße hoch, wünscht er sich, dass der Tag ihm etwas mehr als 24 Stunden bieten könnte. Seine Lebensgefährtin, ebenfalls Krankenschwester im Justizvollzugskrankenhaus, unterstützt seinen Beruf und seine Ehrenämter mit viel Verständnis. Björn liebt das, was er tut, und freie Zeit oder chillen mag er einfach nicht. Mit einem klaren „Ich muss weiter“ geht es voran, auch wenn der Tag nach wie vor nur 24 Stunden hat.