Komplex, komplexer, DFS – Herausforderung Diabetisches Fußsyndrom

    Die erfolgreiche Behandlung eines DFS sollte zunächst mit einer lokalen Wundbettvorbereitung (z.B. mit Debrisoft Monofilamentfaser-Pad und -Lolly) beginnen und mit der Applikation eines geeigneten Wundverbands (bei infektgefährdeten oder infizierten Wunden z.B. Suprasorb P+PHMB oder Suprasorb X + PHMB) fortgeführt werden. Für die optimale Abheilung eines Ulkus‘ ist dabei als dritter Schritt die Druckentlastung1 der elementare Bestandteil, um die Wunde wieder zu schließen. Zur generellen Therapiestrategie gehören auch weitere Aspekte, wie Regulierung des Blutzuckerspiegels, wenn nötig Antibiotikatherapie und minimalchirurgische Eingriffe, sowie eine indikationsoptimierte Ernährung.

    Ohne „Geschützes Gehen“ keine Wundheilung beim DFS

    Die Herausforderung beim DFS liegt darin, dass Menschen mit Polyneuropathie ihre Füße wie Umgebungsbestandteile behandeln, dort keine Schmerzen im herkömmlichen Sinne mehr empfinden. „Nicht nur die Warnfunktion des Schmerzes ist verloren gegangen, sondern auch die spontane Sorge um die Füße“, so Dr. Schmidt in seinem Vortrag „Geschützes Gehen – eine Basis zur Wundheilung“.

    Die Entlastung der Wunde durch Geschütztes Gehen ist eine bedeutende medizinische Maßnahme auf dem Weg zur Wundheilung beim Diabetischen Fußsyndrom. Dabei ist Entlastung nicht mit Ruhigstellung und einer damit einhergehenden Schrittzahlverringerung gleichzusetzen. Die Wunde entlasten, den Patienten jedoch mobil halten, sollte kein Widerspruch sein. „Keep the patient walking“ ist das Motto moderner Ansätze, die Dr. Burkhard Schmidt im Rahmen seines Vortrags vorstellte.

    Das Grundprinzip ist dabei eine Umverteilung des auf den geschädigten Fuß einwirkenden Drucks durch Distanzpolster – z.B. Cellona Polster – wodurch die Auflagefläche vergrößert und der punktuelle Druck verringert wird. Dr. Schmidt stellte unterschiedliche Verfahren vor, um den Fuß mittels Wundpolsterung zu entlasten und gibt Tipps und Tricks für deren Anfertigung. Dabei stehen praxisrelevante Fragen im Vordergrund, wie etwa, ob die Polster besser im Schuh oder auf der Haut angebracht werden. Werden die Polster im Schuh angebracht, müssen diese nicht immer wieder neu angefertigt werden. Direkt am Fuß auf der Haut angebracht, haben die Polster jedoch den Vorteil, dass diese unabhängig vom Trageverhalten wirken, ein Höhenausgleich nicht nötig ist sowie die Polster rutschfest und damit genauer angebracht werden können. Dadurch ergeben sich ebenfalls Vorteile für den Patienten, da sie in die Behandlung eingebunden werden können und dadurch ihre Compliance gesteigert werden kann. Anhand vorgefertigter Schablonen können die Polster zu Hause vorgeschnitten werden und eine Mehrfachverwendung ist ebenfalls oftmals möglich.

    Patientenbeispiele demonstrieren die Anwendung der druckentlastenden Maßnahmen für spezielle Fußregionen und –läsionen, wie etwa mediale Wölbungsstütze, Außenranderhöhung, Kondylenpolster, retrokapitale Unterstützung, Zehenbalkon, Fußrückenpolster, medialer und lateraler Abstandshalter. Zudem weist Dr. Schmidt auf den Aspekt der inneren Entlastung hin, die durch Verfahren wie eine Tenotomie (Sehnendurchtrennung) oder Achillessehnenverlängerung bei Verkürzung des Wadenmuskelkomplexes gewährleistet werden kann. Abschließend präsentierte 

    Dr. Schmidt die Indikationen und Maßnahmen zur Entlastung knöcherner Strukturen wie Fersenpolster („Ananas“), Knöchelschutz und Kulissenpolster.

    Leibesinselschwund – neophänomenologische Betrachtung des DFS

    Eine andere Perspektive auf das DFS, die auf das Patienten-Empfinden ausgerichtet ist, nahm Dr. Alexander Risse, Leitender Arzt des Diabeteszentrums an der Klinikum Dortmund gGmbH, in seinem Vortrag („Was bedeutet DFS im Alltag des Patienten? – Leibesinselschwund, schwer zu akzeptieren für den Behandler?“) ein. Wie kommt es, dass Patienten nicht schon mit kleinen Läsionen ihren Arzt aufsuchen, um die Wunde behandeln zu lassen, im Extremfall erst mit bereits schwer infizierten und nekrotischen Stellen? Die mit der Grunderkrankung Diabetes mellitus einhergehende PNP, ob alleinig oder als Mischform mit einer pAVK, ist mit 85 Prozent die Hauptursache für ein reduziertes Schmerzempfinden bei betroffenen Patienten.2 Anfangsschäden, eine Wunde, der Fuß werden nicht wahrgenommen oder wie ein Gegenstand achtlos behandelt, weil er in der  sogenannten leiblichen Ökonomie des Betroffenen nicht mehr vorkommt, zum Umgebungsbestandteil wird – dieses Phänomen bekommt mit dem Terminus „Leibesinselschwund“ einen Namen. 

    Diese Betrachtung des Krankheitsbilds DFS basiert auf Hermann Schmitz, Philosoph und Begründer der „Neuen Phänomenologie“. „Im Gegensatz zum Körper, der – beim Betasten und Beschauen unschwer zu erkennen – stetig, also zusammenhängend, ausgedehnt ist, zerfällt der Leib in ein unzusammenhängendes Konglomerat von „Leibesinseln“.3,4 Diese Leibesinseln, z.B. die Füße, haben einen unscharfen Umriss und eine über die Zeit, abhängig vom Grad der momentanen personalen Emanzipation, unterschiedliche Ausdehnung.“3

    Viele Ärzte stehen nach Risse vor einem Rätsel, wie dieses Ausmaß an Wunden bei DFS-Patienten unbeachtet entstehen kann – das Verständnis fehlt, die Erkenntnisebene ist eine andere. „Arzt und Patient begegnen sich auf zwei unterschiedlichen anthropologischen Niveaus. Der Arzt auf der Ebene der Körpermaschine, der Patient auf der Ebene subjektiver Tatsächlichkeit“, erläuterte Dr. Risse. 

    Patienten können sehr genau beschreiben, wie es sich anfühlt, obwohl sie durch die PNP eingeschränkte Empfindungen haben. Sie fühlen den Fuß nicht mehr, haben aber dennoch Gefühle und Empfindungen. Sie beschreiben diese Empfindung z.B. als ob sie mit Strom gefoltert würden, der Fuß geschwollen und in Brand geraten wäre oder als ob das Bein nicht mehr dazugehöre. Darauf folgt jedoch oft nichts, keinerlei Beschwerden, der Fuß wird nicht mehr als Körperbestandteil angesehen, wie Risse in seinem Vortrag darstellte. „Der Amputierte fühlt Phantomschmerzen, wo nichts mehr ist, der DFS-Patient fühlt nichts, wo objektiv noch ein Körperteil vorhanden ist.“ (inverses Phantomgliederlebnis)

    Wichtig ist es laut Risse daher, nicht nur den Körper (Körpermaschine) und medizinisch-wissenschaftliche Aspekte zur Diagnose heranzuziehen, sondern auch Psyche, Bewusstsein, Seele, Gemüt, Geist, Gehirn und besonders die Aspekte des Leibs, der leiblichen Ökonomie und die Tatsache des Auftretens von Leibesinselschwund einzubeziehen. So könne das Bewusstsein beim Arzt für den Patienten und dadurch seine Kompetenz, die Betroffenen umfassend zu therapieren, wachsen.

    Umfassende Betreuung nur im Netzwerk möglich und ökonomisch sinnvoll

    Einen weiteren Aspekt in der Behandlung des DFS beleuchtet Anita Mysor, zertifizierte Wundmanagerin aus Straelen, in ihrem Vortrag „Praxisgeschichten – vom Netzwerk bis zum Wundverschluss“. Die alltäglichen Herausforderungen in der Versorgung chronischer Wunden bestehen aus ihrer Sicht nicht nur patientenseitig – diverse Grunderkrankungen, zeitlich aufwendig und persönlich „anstrengend“ – sondern vor allem in der unzureichenden Vergütung des Wundmanagements, ambulanter Ärzte oder auch eines stationären Aufenthalts. Ein Lösungsversuch können laut Mysor individuelle Verträge für eine integrierte Versorgung mit allen großen Krankenkassen und Einbezug aller engagierten Leistungserbringer sein. Prototyp ist hierfür das „Netzwerk Diabetischer Fuß“ in Köln, welches dank seines Konzepts eine hochwertige interdisziplinäre, flächendeckende und wirtschaftliche Versorgung von DFS-Patienten in der Region sicherstellen kann.

    Welche Konsequenzen eine unzureichende Versorgung durch die bestehende ökonomische Situation haben kann, zeigt Anita Mysor anhand eindrucksvoller Beispiele – selbst geflickte Schuhe, Patientenfüße, die nicht mehr wie Füße aussehen, da sie nicht in eine abrechenbare Fallgruppe fallen sowie unprofessionelle Wundversorgung durch den Patienten selbst oder auch durch das Pflegepersonal aufgrund eines Mangel an Material, Zeit oder auch Kompetenz.

    Wie gut funktionierende und organisierte Netzwerkarbeit zu einem besseren Therapieerfolg für betroffene Patienten beitragen kann, erläutert Sie am Beispiel des Krefelder Wundnetzes. Grundvoraussetzung sind laut Mysor gut ausgebildete Fachkräfte, wie Wundmanager, niedergelassene Ärzte, ambulante Pflegedienste, Fachpraxen, Kliniken, Orthopädieschuhmacher und nicht zuletzt der Sanitätsfachhandel. Hinzukommen müssen vernünftige Finanzierungsmodelle und eine lückenlose Kommunikation aller Beteiligter. 

    Dass dieses Konzept erfolgreich sein kann, zeigt Anita Mysor anhand verschiedener Patientencases. Sie belegen eindrücklich den Behandlungserfolg, dank der interdisziplinären Zusammenarbeit aller am Netzwerk Beteiligten.

    „Um Patienten mit chronischen Wunden umfassend gut versorgen zu können, muss interdisziplinär und interprofessionell zusammengearbeitet werden. Es müssen Finanzierungsmodelle entwickelt werden, die Pflegefachkräfte mit entsprechender Weiterbildung berücksichtigen und einheitliche Weiterbildungskonzepte und -inhalte sollten etabliert werden“ erläutert Mysor die Zielsetzungen.

    Fußnoten/Referenzen: 

    1. Bei Wunden am Vorderfuß kommt dabei in vielen Fällen der Vorentlastungsschuh zum Einsatz. Da eine Entlastung auf Grund des komplexen Zusammenspiels der diabetischen peripheren Polyneuropathie (PNP), dem habituellen Bewegungsablauf des Patienten und dem Schuh nicht erfolgt, hat sich der Einsatz eines solchen Vorentlastungsschuhs als nicht empfehlenswert herausgestellt.
    2. Volmer-Thole und Lobmann. Int J Mol Sci. 2016; 17(6): 917. 10.3390/ijms17060917
    3. Schmitz H (1965) System der Philosophie, Bd II, 1. Teil. Der Leib. S. 151, 283. Hermann, Bonn
    4. Schmitz H (1966) System der Philosophie, Bd II, 2. Teil. Der Leib im Spiegel der Kunst. S. 13. Hermann, Bonn

     

     

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    www.lohmann-rauscher.com

     

     

     

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